Was ist eine interne Untersuchung – und wozu dient sie?
Unter einer internen Untersuchung versteht man eine strukturierte Aufarbeitung von möglichen Rechts-, Gesetzes- oder Compliance-Verstößen innerhalb eines Unternehmens. Sie wird von Privaten (Unternehmen, externen Beratern) durchgeführt – ohne hoheitliche Befugnisse und ohne Zwangsmittel wie Hausdurchsuchung oder Beschlagnahme (etwa von Handys).
Typische Auslöser sind etwa:
- Meldungen aus Whistleblowing – oder Hinweisgebersystemen,
- Unstimmigkeiten in der Finanzbuchhaltung oder im Controlling,
- Hinweise von Mitarbeitenden, Kunden, Lieferanten oder Geschäftspartnern oder
- Negative Presseberichte oder Anfragen von Behörden.
Im Wirtschaftsstrafrecht betreffen interne Untersuchungen besonders häufig Verdachtsmomente im Bereich Korruption (§§ 302– 309 StGB), Untreue (§ 153 StGB), Betrug (§ 146 StGB), Urkunden- oder Datenfälschung (§§ 223 – 225a StGB) oder andere strafrechtlich relevante Pflichtverletzungen.
Der Zweck einer internen Untersuchung ist eine sachliche Aufklärung der erhobenen Vorwürfe, die auch der Bewertung der persönlichen Strafbarkeit der betroffenen Personen sowie eine Verbandsverantwortlichkeit des Unternehmens nach dem Verbandsverantwortlichkeitsgesetz (VbVG) dient. Weiters werden im Zuge der Aufklärung oft arbeits-, gesellschafts- und zivilrechtliche Konsequenzen vorbereitet und das Compliance-Management-System verbessert.
Besteht eine Pflicht zur internen Untersuchung?
Eine explizite gesetzliche Pflicht zur Durchführung interner Untersuchungen gibt es im Bereich des gerichtlichen Strafrechts grundsätzlich nicht. Gleichzeitig kann eine unterlassene Einleitung einer internen Untersuchung sowohl zivil- als auch strafrechtliche Folgen für das Unternehmen und seine Führungskräfte sowie den Compliance-Officer haben.
In einzelnen Bereichen – insbesondere in regulierten Branchen – ergeben sich Untersuchungspflichten aus Spezialgesetzen (zB im Finanzmarkt- und Kapitalmarktrecht). Zudem schreibt das HinweisgeberInnenschutzgesetz (HSchG) vor, dass eingehende Hinweise im Anwendungsbereich dieses Gesetzes einer Stichhaltigkeitsprüfung zu unterziehen sind und – falls erforderlich – Folgemaßnahmen gesetzt werden müssen.
In diesem Zusammenhang sind auch gesellschaftsrechtliche Regelungen zu beachten: Nach den allgemeinen Sorgfaltspflichten der Geschäftsführung (§ 25 GmbHG, § 84 AktG) hat die Unternehmensleitung auch die Einhaltung der Business Judgement Rule zu beachten. Demnach ist die Unternehmensleitung verpflichtet, Entscheidungen auf Grundlage ausreichender Informationen zu treffen und konkreten Verdachtsmomenten mit angemessenen Maßnahmen nachzugehen.
Vorteile für das Unternehmen aufgrund eingeleiteter interner Untersuchung
Nach dem Verbandsverantwortlichkeitsgesetz (VbVG) können Unternehmen verantwortlich sein, wenn Entscheidungsträger oder Mitarbeiter Straftaten zugunsten des Verbands begehen (§ 3 Abs 1 Z 1 VbVG) oder dadurch Verbandspflichten verletzen (§ 3 Abs 1 Z 2 VbVG).
Sorgfältig durchgeführte interne Untersuchungen können:
- die Grundlage für tätige Reue (§ 167 StGB) oder eine Selbstanzeige (§ 29 FinStrG) bilden und
- der Ausgangspunkt für die Geltendmachung von Ansprüchen gegen die unmittelbaren Täter sein, etwa im Wege einer Sachverhaltsdarstellung mit kombiniertem Privatbeteiligtenanschluss.
- bei der Staatsanwaltschaft positiv gewertet werden (Verfolgungsermessen nach § 18 VbVG, Diversion nach § 19 VbVG) und
Typischer Ablauf einer internen Untersuchung in der Praxis
Je nach Branche, Unternehmensgröße und Verdachtslage unterscheiden sich Umfang und Tiefe. In der Praxis hat sich ein mehrstufiges Vorgehen etabliert:
Schritt 1: Plausibilitätsprüfung und Erstbewertung
Am Beginn stellen sich folgende Fragen: Ist der Verdacht tragfähig? Wie konkret ist der Hinweis? Gibt es objektive Anhaltspunkte (zB Dokumente, Daten, E-Mails)? Wie gravierend wären die Folgen, wenn der Vorwurf zutriff? Gibt es Fristen (Verjährung, arbeitsrechtliche Fristen, Versicherungsanzeigen)?
Erst wenn sich ein konkreter Verdacht abzeichnet, ist eine strukturierte interne Untersuchung einzuleiten. Die Frage, wann dies notwendig ist, ist für Geschäftsführer und Unternehmensjuristen oftmals nicht klar. Im Bedarfsfall empfiehlt sich die Beiziehung von spezialisierten Experten.
Schritt 2: Sofortmaßnahmen und Beweissicherung
Wenn eine interne Untersuchung eingeleitet wird, ergreift das Untersuchungsteam bestimmte Sofortmaßnahmen, um weitere Schäden zu verhindern und Beweise zu sichern.
Hier kommen die Sicherung von E-Mail-Konten und elektronischen Dokumenten, eine temporäre Sperre von Zahlungs- und Kontenberechtigungen sowie die Sicherung von Laptops, Mobilgeräten und physischen Akten in Betracht.
Im Rahmen der gesamten internen Untersuchung ist stets der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit leitend: Einschränkungen der Rechte der betroffenen Mitarbeiter sind nur insoweit zulässig, als sie durch ein legitimes Kontrollinteresse des Arbeitgebers gerechtfertigt sind. Es ist stets das gelindeste von den zur Auswahl stehenden Mitteln zu wählen, das den angestrebten Zweck noch erreicht. Datenschutzrechtlich ist insbesondere zu beachten, dass bei sämtlichen Untersuchungsschritten das berechtigte Interesse des Arbeitgebers an der Aufklärung der Vorwürfe dem einzelnen Interesse des Arbeitnehmers überwiegen muss.
Schritt 3: Datensicherung und Dokumentenanalyse – mit strafrechtlichen Grenzen
Bei der Sicherung und Auswertung von Daten sind neben datenschutzrechtlichen Aspekten auch strafrechtliche Verbote zu beachten. Betroffen sind unter anderem folgende Strafdelikte:
- Verletzung der Privatsphäre und bestimmter Berufsgeheimnisse (§ 118 StGB),
- Widerrechtlicher Zugang auf ein Computersystem (§ 118a StGB),
- Verletzung des Telekommunikationsgeheimnisses (§ 119 StGB),
- Missbräuchliches Abfangen von Daten (§ 119a StGB) und
- Missbrauch von Tonaufnahme- und Abhörgeräten (§ 120 StGB).
Im Rahmen der internen Untersuchung kann sich im Zusammenhang mit den eben aufgezählten Strafdelikten ein Risiko einer eigenen Strafbarkeit von einzelnen Mitgliedern des Untersuchungsteams ergeben.
Beispiele:
- Durch das Öffnen eines verschlossenen Briefs, der einen Mitarbeiter als Adressaten nennt und am Kuvert den Vermerk „höchstpersönlich“ trägt, kann sich ein Mitglied des Untersuchungsteams nach § 118 StGB strafbar machen.
- Durch die heimliche Installation einer Abhörsoftware auf dem Computer eines Mitarbeiters sollen von diesem versendete Nachrichten aufgezeichnet und somit weiteres belastendes Material gesichert werden. Die aufgezeichneten Nachrichten sind jedoch für kein Mitglied des Untersuchungsteams bestimmt und es stünden gelindere Mittel zur Verfügung. Der Straftatbestand des § 119 StGB ist erfüllt.
- Bei einem weit über das Maß des Notwendigen hinausgehenden E-Mail-Review, etwa der Durchsicht privater Kommunikation, obwohl dies für die interne Untersuchung nicht notwendig ist, kann auch § 120 Abs 2a StGB erfüllt sein.
Schritt 4: Mitarbeiterbefragungen
Interviews mit Mitarbeitenden sind ein zentrales Instrument jeder internen Untersuchung. Sie liefern idealerweise unter anderem Hintergrundinformationen und Kontext zum Vorwurf, Einblicke in interne Abläufe und Entscheidungsprozesse sowie Hinweise auf weitere Beweismittel oder Vorwürfe.
Grundsätzlich besteht für Mitarbeiter durch die arbeitsrechtliche Treuepflicht gegenüber dem Arbeitgeber eine Mitwirkungspflicht an solchen Befragungen. Hier ist jedoch besondere Vorsicht geboten: Unzulässiger Druck und Drohungen (zB mit einer Kündigung oder Entlassung) im Rahmen einer Mitarbeiterbefragung durch Mitglieder des Untersuchungsteams können zu einer Strafbarkeit wegen Nötigung (§ 105 StGB) oder gefährlicher Drohung (§ 107 StGB) führen. Zulässig ist es hingegen, auf die Möglichkeit einer tätigen Reue (§ 167 StGB) hinzuweisen oder eine Schadensgutmachung anzuregen.
Schritt 5: Untersuchungsbericht und rechtliche Stellungnahme
Am Ende einer internen Untersuchung sollte ein klar strukturiertes Ergebnis vorliegen. Einerseits ist ein Untersuchungsbericht zu erstellen, in dem der Sachverhalt objektiv dargestellt, die eingesetzten Untersuchungsschritte nachvollziehbar dokumentiert und die Beweislage sowie die wesentlichen Feststellungen zusammengefasst werden. Andererseits sollte eine rechtliche Stellungnahme erfolgen, die die strafrechtliche Bewertung vornimmt, mögliche Strafaufhebungsgründe (wie tätige Reue oder eine finanzstrafrechtliche Selbstanzeige) prüft und die arbeits-, zivil- und gesellschaftsrechtlichen Konsequenzen analysiert.
Darüber hinaus bietet eine interne Untersuchung die Möglichkeit, konkrete Empfehlungen zur Weiterentwicklung des Compliance-Management-Systems auszusprechen. Dadurch wird die Untersuchung nicht nur zu einer Aufarbeitung vergangener Ereignisse, sondern zugleich zu einem präventiven Instrument, das die unternehmensinterne Compliance nachhaltig stärkt.
Anzeige an Strafverfolgungsbehörden: Wann müssen Unternehmen handeln?
Private Unternehmen bzw Privatpersonen sind grundsätzlich nicht verpflichtet, Behörden über bereits abgeschlossene Straftaten zu informieren. Unternehmen können daher in vielen Fällen frei entscheiden, ob sie eine Anzeige erstatten.
Anders gestaltet sich die Rechtslage, wenn jemand von einer unmittelbar bevorstehenden oder bereits begonnenen Straftat mit einer Strafdrohung von mehr als einem Jahr Freiheitsstrafe Kenntnis erlangt. In diesen Fällen besteht eine gesetzliche Pflicht, zur Verhinderung der Tat beizutragen oder die Behörden zu verständigen (§ 286 StGB).
Für Geschäftsleitung und Compliance-Verantwortliche kommt darüber hinaus der Garantenstellung nach § 2 StGB besonderes Gewicht zu. Personen, die aufgrund ihrer Stellung verpflichtet sind, strafbare Handlungen oder deren Erfolg abzuwenden, können sich durch Untätigkeit selbst strafbar machen – etwa wegen Untreue durch Unterlassen (§§ 2, 153 StGB), wenn ein bekannter Verdacht nicht unterbunden wird und die entsprechenden Taten von anderen Mitarbeitern weiterhin ausgeführt werden.
Wie kann ein Rechtsanwalt für Strafrecht bei internen Untersuchungen unterstützen?
Die frühzeitige Einbindung eines auf Wirtschaftsstrafrecht spezialisierten Rechtsanwalts ist in vielen Fällen empfehlenswert. Er ordnet den Verdachtsfall strafrechtlich ein und unterstützt die Entscheidungsorgane wesentlich bei der Auswahl der optimalen Strategie. Zudem schützt er die Unternehmensleitung, Mitarbeitenden und das Unternehmen selbst, indem er einzelne Untersuchungsschritte im Vorfeld auf ihre rechtliche Zulässigkeit prüft, Mitarbeiterbefragungen professionell leitet und sicherstellt, dass Mitglieder des Untersuchungsteams keine eigenen strafbaren Handlungen setzen.
Wenn bereits ein Strafverfahren eingeleitet worden ist, fungiert der Rechtsanwalt darüber hinaus als zentrale Schnittstelle zu den Ermittlungsbehörden, koordiniert einen allfälligen Kontakt und sorgt für eine einheitliche und professionelle Kommunikation mit den Sachbearbeitern der Staatsanwaltschaft und der Kriminalpolizei.
Schließlich kann ein Rechtsanwalt auch bei der Umsetzung jener Verbesserungen im Compliance-Management-System unterstützen, die sich aus den Erkenntnissen der internen Untersuchung ableiten lassen. Solche Maßnahmen wirken sich nicht nur positiv in einem möglichen Verbandsstrafverfahren aus, sondern leisten zugleich einen wesentlichen Beitrag zur wirksamen Prävention künftiger Rechtsverstöße im Unternehmen.