Zivilrechtliche Produkthaftung
Grundsätzlich wird die Produkthaftung durch das Zivilrecht, in Österreich vor allem durch das Produkthaftungsgesetz (PHG), geregelt. Demnach haften der Hersteller oder Importeur eines fehlerhaften Produkts, wenn durch den Produktfehler ein Mensch getötet, am Körper verletzt oder an der Gesundheit geschädigt oder eine von dem Produkt verschiedene körperliche Sache beschädigt wurde (§ 1 Abs 1 PHG).
Eine Haftung nach dem PHG setzt kein schuldhaftes Verhalten voraus. Gehaftet wird nur für Schäden an Personen und privaten Sachen, sofern die beschädigte Sache nicht das fehlerhafte Produkt selbst ist. Für Sachschäden gibt es eine Selbstbehaltungsgrenze von 500 Euro.
Kann ein Verschulden nachgewiesen werden, können entsprechende Schadenersatzansprüche auch auf die allgemeine Verschuldenshaftung gemäß ABGB gestützt werden.
Strafrechtliche Verantwortlichkeit – Produkstrafrecht
Bei schwerwiegenden Folgen wie beispielsweise durch das Produkt entstandene Körperverletzungen oder gar Todesfälle kann das so genannte Produktstrafrecht zur Anwendung kommen. Hintergrund ist nicht der Ausgleichsgedanke (wie im Zivilrecht), sondern die Auslösung eines gesamtgesellschaftlichen Reaktionsbedürfnisses durch strafrechtliche Sanktionen und damit die präventive Einwirkung auf grobe Verstöße gegen rechtliche Sorgfaltspflichten.
Die strafrechtliche Verantwortlichkeit für Produktmängel ergibt sich aus der Verknüpfung produktspezifischer Pflichten mit allgemeinen Strafrechtsnormen. Der Maßstab für die Mängelfreiheit eines Produkts basiert auf rechtlichen Vorgaben, die festlegen, welche Kriterien ein Produkt erfüllen muss, um rechtskonform auf den Markt zu gelangen.
Dazu gehören beispielsweise die Bestimmungen des Produktsicherheitsgesetz (PSG), des Arzneimittelgesetz (AMG), des Medizinproduktgesetzes (MPG), der Kosmetik-VO, der Spielzeug-RL sowie der EU-Produktsicherheitsverordnung 2023/988. Sowohl vorsätzliches als auch fahrlässiges Verhalten, etwa durch Verletzung von Prüf- und Sorgfaltspflichten, kann (verwaltungs-)strafrechtlich relevant sein.
Hersteller und Vertreiber sind verpflichtet, die Sicherheit ihrer Produkte zu gewährleisten und Verbraucher vor vermeidbaren Gefahren zu schützen. Bei Verstößen und dem dadurch bewirkten Eintritt eines Personenschadens können insbesondere die Straftatbestände der fahrlässige Körperverletzung (§ 88 StGB) oder der fahrlässige Tötung (§ 80 StGB) verwirklicht werden.
In speziellen Konstellationen kommt im Hinblick auf ein fehlerhaftes Produkt auch eine Strafbarkeit wegen Betrugs (§ 146 StGB) oder wegen Sachwucher (§ 155 StGB) in Betracht.
EU-Produktsicherheitsverordnung 2023/988
Mit 13.12.2024 trat EU-weit die neue Allgemeine Produktsicherheitsverordnung (Verordnung 2023/988) in Kraft. Ziel der EU-Produktsicherheitsverordnung ist die einheitliche und harmonisierte Regelung des Produktsicherheitsrechts und die Anpassung des bereits bestehenden Rechts an die Entwicklungen der Digitalisierung. Die Verordnung ist in allen EU-Mitgliedsstaaten unmittelbar anwendbar und ersetzt die bisherige EU-Richtlinie sowie das österreichische Produktsicherheitsgesetz. Letzteres kommt nur noch dann zur Anwendung, wenn die Verordnung keine spezielleren Regelungen vorsieht.
Die EU-Produktsicherheitsverordnung gilt für Verbraucherprodukte. Sowohl neue, als auch gebrauchte, reparierte oder wiederaufgearbeitete Produkte – unabhängig davon, ob sie verkauft oder gratis weitergegeben werden – dürfen nur in Verkehr gebracht werden, wenn sie als sichere Produkte gelten. Dabei ist der Anwendungsbereich besonders breit auszulegen.
Die EU-Produktsicherheitsverordnung gilt grundsätzlich für alle Verbraucherprodukte, die auf dem europäischen Markt verkauft oder bereitgestellt werden. Für folgende Produkte gilt die Verordnung jedoch nicht:
- Antiquitäten,
- Beförderungsmittel,
- Futtermittel,
- Human- und Tiermedizin,
- Lebensmittel,
- Lebende Pflanzen und Tiere,
- Luftfahrzeuge,
- Pflanzenschutzmittel,
- Produkte, die vor ihrer Verwendung repariert oder wiederaufgearbeitet werden müssen, wenn diese Produkte dahingehend eindeutig gekennzeichnet in Verkehr gebracht wurden.
- Tierische Nebenprodukte und Folgeprodukte.
Ebenso nicht vom Anwendungsbereich der neuen Verordnung erfasst ist der Handel außerhalb der EU, Produkte mit Reparatur- oder Wiederaufbearbeitungsbedarf bei ausdrücklicher Kennzeichnung sowie Produkte, die nicht für Verbraucher bestimmt sind und unter vernünftigerweise vorhersehbaren Bedingungen wahrscheinlich auch nicht von Verbrauchern benutzt werden.
Risikoanalyse und -bewertung
Die Verordnung sieht eine verpflichtende Risikoanalyse und -bewertung für die in den Anwendungsbereich fallenden Produkte vor. Sämtliche Produkte müssen einer Bewertung unterzogen werden, um zu prüfen, ob es sich um sichere Produkte handelt. Erst in einem nächsten Schritt dürfen sie in den Verkehr gebracht werden.
Dabei werden zunächst die Eigenschaften sowie die Einwirkung des Produkts auf andere Produkte, mit denen es bei ordnungsgemäßem Gebrauch denklogisch in Verbindung kommt, beurteilt. Darüber hinaus werden die Aufmachung, Etikettierung, die Altersbeschränkung für Kinder, Warnhinweise und Anweisungen für den Gebrauch berücksichtigt und bewertet. Bei der Beurteilung erfolgt auch die Unterscheidung nach Verbraucherkategorien (Kinder, ältere Menschen, etc) sowie die Bewertung des Erscheinungsbilds des Produkts, wenn es mit anderen Produkten, insbesondere mit Lebensmitteln, verwechselt werden kann. Darüber hinaus erfolgt auch eine Beurteilung nach möglichen Cybersicherheitsrisiken.
Nach einer solchen Beurteilung wird die Sicherheit eines Produkts vermutet, wenn es mit den anwendbaren europäischen Normen und Standards konform ist.
Pflichten
Die EU-Produktsicherheitsverordnung enthält weitreichende und spezielle Pflichten für Hersteller, Importeure sowie Händler, Informationen auf Produkten, Verpackungen und im Onlineshop oder Versandkatalog bereitzustellen. Zusätzlich müssen weitreichende Warnhinweise und Sicherheitsinformationen aufgezeigt werden. Warnhinweise müssen dabei in jedes einzelne Produktangebot übernommen werden, was eine Umsetzung in der Praxis besonders herausfordernd macht.
Produktrückruf und Sicherheitswarnung
Die europäische Produktsicherheitsverordnung enthält auch spezielle Regelungen zum Produktrückruf. So sind z.B. Importeure, Hersteller und Händler im Zusammenhang mit den von ihren Produkten ausgehenden Gefahren unter bestimmten Umständen zu Produktrückrufen oder Sicherheitswarnungen verpflichtet. Derartige Gefahren ergeben sich im Regelfall im Nachhinein auf der Basis von Rückmeldungen bzw Beschwerden von Verbrauchern.
Dabei müssen alle identifizierbaren Verbraucher, die tatsächlich von dem Produkt und den damit verbundenen Gefahren betroffen sind, unverzüglich schriftlich oder direkt informiert werden. Um eine möglichst große Reichweite von Produktrückrufen zu erzielen, sind auch Aushänge in den betroffenen Filialen und in geeigneten Kanälen vorgesehen. Von Seiten der EU sind darüber hinaus Schnellwarnsysteme geplant, durch die Verbraucher möglichst rasch über etwaige Rückrufe informiert werden können.
Compliance zur Prävention
Compliance ist nicht nur im Wirtschaftsstrafrecht und dem Korruptionsstrafrecht, sondern auch im Produktstrafrecht von zentraler Bedeutung. Ein gut ausgestaltetes Compliance-System hilft, strafrechtliche Risiken erheblich zu reduzieren, indem es die strikte Einhaltung gesetzlicher Vorgaben sicherstellt. Dies umfasst unter anderem die Einführung und Überwachung von Qualitätssicherungsmaßnahmen, regelmäßige Schulungen und Workshops für Mitarbeiter sowie die Implementierung effektiver Kontrollmechanismen, um potenzielle Gefahren durch Produktmängel frühzeitig zu erkennen und zu vermeiden.
Darüber hinaus kann ein funktionierendes Compliance-Management-System im Fall von strafrechtlichen Ermittlungen im Unternehmensstrafrecht strafmildernd wirken. Es zeigt, dass das Unternehmen aktiv Sorgfaltspflichten wahrnimmt und organisatorische Maßnahmen getroffen hat, um Risiken bestmöglich zu beseitigen. Auf diese Weise trägt Compliance nicht nur zur rechtlichen Absicherung bei, sondern stärkt auch die Vertrauenswürdigkeit und Integrität des Unternehmens.
Unterstützung durch einen spezialisierten Rechtsanwalt
Sobald ein Unternehmen mit zivilrechtlichen oder strafrechtlichen Vorwürfen im Zusammenhang mit Produktsicherheit oder möglichen Verstößen konfrontiert wird, sollte ein spezialisierter Rechtsanwalt oder Strafverteidiger beigezogen werden. Die zeitnahe Abstimmung mit einem Experten ist für die Haftungsvermeidung oder zumindest Haftungsreduzierung essenziell.
Die Rolle des Strafverteidigers umfasst nicht nur die Verteidigung im Strafverfahren, sondern auch die strategische Beratung des Unternehmens. Dazu gehört die Analyse der Vorwürfe, die Sicherung entlastender Beweise und die Koordination interner Untersuchungen. Darüber hinaus unterstützt der Strafverteidiger bei der Kommunikation mit Ermittlungsbehörden, um frühzeitig eine Eskalation des Verfahrens zu verhindern, und kann durch proaktive Maßnahmen strafrechtliche Konsequenzen oftmals verhindern oder abmildern. Das Ziel des Strafverteidigers ist es, die strafrechtliche Haftung zu minimieren und die Reputation des Unternehmens zu schützen.
Verbandsverantwortlichkeit im Zuge des Produktstrafrechts
Ein durch einen Produktfehler gesetztes strafbares Verhalten von Mitarbeitern oder Entscheidungsträgern eines Unternehmens als „Verband“ kann unter Umständen im Rahmen des Unternehmensstrafrechts auch dem Verband zugerechnet werden. Dabei sind mehrere Aspekte zu beachten:
Nach § 3 VbVG ist ein Verband für eine Straftat verantwortlich, wenn diese zu seinen Gunsten begangen worden ist, oder durch die Tat Pflichten verletzt worden sind, die den Verband betreffen. Im Kontext des Produktstrafrechts kann dies insbesondere relevant werden, wenn Hinweis-, Sorgfalts- oder Informationspflichten verletzt worden sind.
Um eine Verbandsverantwortlichkeit zu bejahen, muss die Straftat entweder von einem Entscheidungsträger oder von einem Mitarbeiter begangen worden sein. Der Verband ist für die Straftaten eines Entscheidungsträgers verantwortlich, wenn dieser die Tat rechtswidrig und schuldhaft begangen hat, was etwa bei fahrlässiger oder vorsätzlicher Gefährdung von Verbrauchern durch unsichere Produkte zutreffen kann. Hier sind die oben dargestellten Bestimmungen des Produktsicherheitsrechts zu beachten.
Darüber hinaus ist der Verband für Straftaten von Mitarbeitern dann verantwortlich, wenn der Mitarbeiter den Straftatbestand sowohl objektiv als auch subjektiv rechtswidrig verwirklicht. Bei Mitarbeitertaten muss auch ein Organisationsverschulden vorliegen. Das bedeutet, dass die Begehung der Tat dadurch ermöglicht oder wesentlich erleichtert wird, dass Entscheidungsträger die nach den Umständen gebotene und zumutbare Sorgfalt außer Acht gelassen haben, insbesondere indem sie wesentliche technische, organisatorische oder personelle Maßnahmen zur Verhinderung solcher taten unterlassen haben.
Was tun als Opfer eines Produktmangels?
Wer durch einen Produktmangel geschädigt wurde, sollte primär Beweise wie Fotos, Rechnungen und wenn möglich das fehlerhafte Produkt selbst sichern sowie entstandene Schäden dokumentieren. Eine juristische Beratung hilft, zivilrechtliche Ansprüche auf Schadenersatz und Schmerzengeld sowie mögliche strafrechtliche Schritte zu prüfen.
Darüber hinaus kann eine Anzeige bei der Polizei oder Staatsanwaltschaft eingebracht werden. Zudem ermöglicht eine Privatbeteiligung im Zuge eines Strafverfahrens eine aktive Beteiligung und die Chance auf eine unkomplizierte Geltendmachung zivilrechtlicher Ansprüche wie Schadenersatzansprüche. Eine Unterstützung durch einen spezialisierten Rechtsanwalt oder Strafverteidiger erhöht maßgeblich die Erfolgschancen.