Allgemeines
Im Strafrecht gibt es unter bestimmten Voraussetzungen und bei ausgewählten Delikten die Möglichkeit, die Strafbarkeit durch tätige Reue aufzuheben. Dieser Ansatz dient als wichtiger Strafaufhebungsgrund und stellt eine rechtliche Ausnahme dar, die es dem Täter erlaubt, aktiv zur Wiedergutmachung des verursachten Schadens beizutragen. Die tätige Reue bietet dem Täter eine wertvolle Gelegenheit, die Konsequenzen seiner Handlung abzumildern und einen Weg zurück in die Legalität einzuschlagen.
Im StGB findet man neben dem § 167, auf den im Folgenden näher eingegangen wird, noch weitere Formen der tätigen Reue, die bei verschiedenen Delikten zur Anwendung kommen (zB § 165a StGB bei Geldwäscherei).
Reuefähige Delikte
Bei folgenden Vermögensdelikten, die teilweise auch im Wirtschaftsstrafrecht zur Anwendung kommen, ist tätige Reue nach § 167 StGB möglich:
- Sachbeschädigung (§ 125 StGB),
- Datenbeschädigung (§ 126a StGB),
- Störung der Funktionsfähigkeit eines Computersystems (§ 126b StGB),
- Diebstahl (§ 127 StGB),
- Entziehung von Energie (§ 132 StGB),
- Veruntreuung (§ 133 StGB),
- Unterschlagung (§ 134 StGB),
- Dauernde Sachentziehung (§ 135 StGB),
- Eingriff in fremdes Jagd- oder Fischereirecht (§ 137 StGB),
- Entwendung (§ 141 StGB),
- Betrug (§ 146 StGB),
- Untreue (§ 153 StGB),
- Geschenkannahme durch Machthaber (§ 153a StGB),
- Förderungsmissbrauch (§ 153b StGB),
- Betrügerische Anmeldung zur Sozialversicherung oder Bauarbeiter-. Urlaubs- und Abfertigungskasse (§ 153d StGB),
- Wucher (§§ 154, 155 StGB),
- Betrügerische Krida (§ 156 StGB),
- Schädigung fremder Gläubiger (§ 157 StGB),
- Begünstigung eines Gläubigers (§ 158 StGB),
- Grob fahrlässige Beeinträchtigung von Gläubigerinteressen (§ 159 StGB),
- Vollstreckungsvereitelung (§ 162 StGB),
- Hehlerei (§ 164 StGB).
Voraussetzungen der tätigen Reue
Dem Täter kommt nach § 167 Abs 2 StGB die tätige Reue dann zu, wenn er – noch bevor die Behörde von seinem Verschulden erfahren hat – wenngleich auf Andringen des Verletzten, so doch ohne dazu gezwungen zu sein,
- den ganzen aus seiner Tat entstandenen Schaden gutmacht oder
- sich vertraglich verpflichtet, dem Verletzten binnen einer bestimmten Zeit solche Schadensgutmachung zu leisten. In letzterem Fall lebt die Strafbarkeit wieder auf, wenn der Täter seine Verpflichtung nicht einhält, den Betrag bspw also nicht oder nicht vollständig bezahlt.
Der Täter ist auch dann nicht zu bestrafen, wenn er den ganzen aus seiner Tat entstanden Schaden im Zuge einer Selbstanzeige, die der Behörde sein Verschulden offenbart, durch Erlag bei dieser Behörde, gutmacht.
Damit die Reuehandlung strafbefreiend sein kann, muss sie einen reuefähigen Tatbestand betreffen (Auflistung oben), rechtzeitig sowie freiwillig erfolgen und die vollständige Schadensgutmachung umfassen.
Rechtzeitigkeit
Bei der tätigen Reue ist vor allem der Zeitpunkt der Schadensgutmachung bzw der Bereiterklärung dazu entscheidend. Haben die Strafverfolgungsbehörden bereits (bspw durch eine Anzeige) von der Tat erfahren, ist eine tätige Reue nicht mehr möglich. Als Strafverfolgungsbehörden in diesem Sinne gelten insbesondere Polizeidienststellen, Staatsanwaltschaften und Strafgerichte.
Die behördliche Kenntnis setzt keine konkreten Ermittlungshandlungen voraus. Es ist auch nicht entscheidend, ob Mitarbeiter der Behörde bereits konkret von der strafbaren Handlung Kenntnis haben. Tätige Reue ist bereits dann nicht mehr möglich, wenn die Information bei der Behörde eingelangt ist. Daher ist rasches Handeln bei der tätigen Reue unabdingbar. Das Wissen des Täters über den Kenntnisstand der Behörde spielt bei der Beurteilung der Rechtzeitigkeit keine Rolle.
Freiwilligkeit
Die Schadensgutmachung gilt dann als freiwillig und wirkt strafbefreiend, wenn der Täter diese leistet, obwohl er diese noch hätte verweigern können. Das Motiv des Täters spielt dabei keine Rolle. Selbst ein Drängen oder Drohen (beispielsweise mit einer Strafanzeige oder zivilrechtlichen Klage) durch den Geschädigten schließt Freiwilligkeit nicht aus. Es ist also kein „innerer Sinneswandel“ notwendig.
Vollständige Schadensgutmachung
Ein zentrales Kriterium der tätigen Reue ist die vollständige Schadensgutmachung. Daher ist der vollständige Vermögensstand des Geschädigten vor der Vermögensschädigung wiederherzustellen. Die Schadenshöhe berechnet sich nach der Differenz im Gesamtvermögen des Geschädigten. Die vollständige Schadensgutmachung wird sehr streng gehandhabt, weshalb es sich empfiehlt, im Zweifelsfall eine großzügige Schadensberechnung durchzuführen. Bereits das Abweichen von niedrigen Beträgen verhindert die tätige Reue.
Beispiele
- T verkauft ein Auto, das er gar nicht besitzt, und erhält vom Käufer bereits eine Anzahlung. T begeht durch diese Täuschungshandlung den Straftatbestand des Betrugs (§ 146 StGB). Der Käufer droht mit einer Anzeige. Noch bevor der geschädigte Käufer Anzeige erstattet, überweist T die Anzahlung vollständig und freiwillig zurück. Hier liegt tätige Reue nach § 167 StGB vor.
- Ein Antragssteller veruntreut Firmengelder, indem er es für private Zwecke verwendet. Nach einiger Zeit bereut er seine Tat und möchte das veruntreute Geld wieder zurückzahlen. In der Zwischenzeit hat das geschädigte Unternehmen jedoch bereits eine Anzeige bei der Polizei erstattet. Die tätige Reue ist somit nicht mehr möglich, da die Behörde bereits Kenntnis von der Tat erlangt hat.
Persönlicher Strafaufhebungsgrund
Bei der tätigen Reue handelt es sich um einen persönlichen Strafaufhebungsgrund. Im Falle einer Beteiligung mehrerer Personen an einer Straftat erlangt daher grundsätzlich nur diejenige Person Straffreiheit, die die Voraussetzungen der tätigen Reue persönlich erfüllt hat. Jedoch eröffnet § 167 Abs 4 StGB noch eine andere Möglichkeit der Straffreiheit. Hat sich der Täter ernstlich um die Schadenswiedergutmachung bemüht, ist er auch dann nicht zu bestrafen, wenn ein Dritter in seinem Namen oder eine andere Person, die an der Tat mitgewirkt hat, die Voraussetzungen der tätigen Reue erfüllt.
Rechtsanwalt als strategische Unterstützung
Ein auf das Strafrecht spezialisierter Rechtsanwalt kann seine Mandanten in sämtlichen Belangen des Strafrechts unterstützend und beratend zur Seite stehen. Dazu gehört nicht nur die Verteidigung in laufenden Strafverfahren, sondern auch eine präventive Beratung, um strafrechtliche Risiken zu minimieren.
Ein Strafverteidiger analysiert Ihre konkrete Situation aus juristischer Sicht, prüft die gesetzlichen Voraussetzungen der tätigen Reue und zeigt Ihnen alle Optionen auf. Auf dieser Grundlage entwickelt er einen strategischen Plan für das weitere Vorgehen, der darauf abzielt, Ihre rechtlichen Interessen bestmöglich zu wahren und potenzielle Schäden zu minimieren.
Wenn Sie eines der zuvor genannten Delikte begangen haben und sich dessen bewusst sind, könnte es ratsam sein, die Option der tätigen Reue in Betracht zu ziehen. Diese rechtliche Möglichkeit eröffnet Ihnen in bestimmten Fällen die Chance, durch gezielte Schadenswiedergutmachung oder andere geeignete Maßnahmen die Strafbarkeit vollständig aufzuheben. Die tätige Reue stellt damit nicht nur einen Weg dar, sich mit der Rechtsordnung zu versöhnen, sondern auch, aktiv Verantwortung für das eigene Handeln zu übernehmen und die damit verbundenen negativen Konsequenzen eines Strafverfahrens zu vermeiden.
Auch wenn Sie durch eine strafbare Handlung geschädigt wurden, kann die Aufforderung zur Schadensgutmachung und der Hinweis auf die Möglichkeit der tätigen Reue – z. B. in Form eines anwaltlichen Schreibens – ein kostengünstiger und schneller Weg sein, den Schaden unkompliziert wieder zu erlangen. Dies bietet sich insbesondere an, bevor eine Strafanzeige mit Privatbeteiligtenanschluss erstattet wird.