Einspruch wegen Rechtsverletzung (§ 106 StPO)
Einspruch wegen Rechtsverletzung nach § 106 Abs 1 StPO steht jeder Person zu, die behauptet, im Ermittlungsverfahren durch die Staatsanwaltschaft in einem subjektiven Recht verletzt worden zu sein, weil
- ihr die Ausübung eines Rechtes nach der österreichischen Strafprozessordnung verweigert oder
- eine Ermittlungs- oder Zwangsmaßnahme unter Verletzung von Bestimmungen der Strafprozessordnung angeordnet oder durchgeführt wurde.
Legitimation
Jeder, der sich durch die Führung eines Ermittlungsverfahrens in einem subjektiven Recht verletzt erachtet, kann das Rechtsschutzinstrument des Einspruchs wegen Rechtsverletzung ergreifen. Neben dem Beschuldigten kann daher beispielsweise auch das Opfer bzw der Privatbeteiligte in einem Einspruch geltend machen, dass sein subjektives Recht verletzt wurde, zB im Recht auf Akteneinsicht (§§ 51 ff StPO).
Grundsätzlich kann nur die Person, welche sich in einem subjektiven Recht verletzt fühlt, Einspruch wegen Rechtsverletzung erheben. Im Fall des Todes dieser Person geht diese Berechtigung jedoch auf folgende Angehörige über: den Ehegatten, den eingetragenen Partner, den Lebensgefährten, die Verwandten in gerader Linie, den Bruder oder die Schwester. Diese Legitimation kann auch auf andere Angehörige, die Zeugen der Tat waren, übergehen (§§ 65 Z 1 lit b, 106 Abs 1 StPO).
Subjektives Recht
Generell versteht man unter einem subjektiven Recht eine Rechtsmacht, die einem Einzelnen von der Rechtsordnung verliehen wurde. Subjektive Rechte sind beispielsweise das Recht auf Akteneinsicht (§§ 51 ff StPO), das Recht, Beweisanträge zu stellen (§ 55 StPO) oder das Recht auf Anwendung der Kronzeugenregelung (§ 209a Abs 1 StPO).
In ein subjektives Recht kann nicht nur durch die staatsanwaltschaftliche Anordnungen oder die unmittelbare Ausübung von Zwang eingegriffen werden, sondern auch durch die Art und Weise der Durchführung einer Ermittlungsmaßnahme.
Eingriffe in ein subjektives Recht gemäß § 106 StPO können auch durch Maßnahmen der Kriminalpolizei begründet werden, sofern diese durch die Staatsanwaltschaft angeordnet wurden. Wenn dem Beschuldigten in dessen Wohnung bei einer Hausdurchsuchung seine eigene Anwesenheit oder die Beiziehung von Personen seines Vertrauens verweigert wird (§ 121 Abs 2 StPO), stellt dies eine Rechtsverletzung dar, die mittels Einspruchs wegen Rechtsverletzung bekämpft werden kann.
Beispiele für Akte der Kriminalpolizei, auf deren Grundlage kein Einspruch wegen Rechtsverletzung eingebracht werden kann:
- Verweigerung eines Beamten der Kriminalpolizei, dem Beschuldigten bei der Durchführung einer staatsanwaltschaftlich angeordneten Ermittlungsmaßnahme seine Dienstnummer bekannt zu geben. Hier liegt keine Verletzung eines subjektiven Rechts im Sinne des § 106 StPO vor, weil sich die entsprechende Verpflichtung nicht aus der StPO, sondern aus § 31 Abs 2 Z 2 SPG iVm § 9 Abs 1 RLV ergibt.
- Rechtswidrige Wegweisung (§ 38a SPG), wenn sie im Rahmen eines strafprozessualen Ermittlungsverfahrens wegen Gewalttaten im Familienkreis ausgesprochen wird. Auch hier bildet das SPG und nicht die StPO die Rechtgrundlage für die Wegweisung.
In der Praxis stellt sich häufig die Frage, ob es möglich ist, allein aufgrund einer Verzögerung des Ermittlungsverfahrens Einspruch wegen Rechtsverletzung einzulegen. Eine Verletzung eines subjektiven Rechts ist nur dann in einer Verzögerung zu erblicken, wenn diese im Hinblick auf die Schwere des Tatvorwurfs und die Komplexität der Ermittlungen unverhältnismäßig erscheint.
Verfahren
Ein Einspruch ist innerhalb von sechs Wochen nach Kenntnis der behaupteten Verletzung des subjektiven Rechts bei der Staatsanwaltschaft einzubringen (§ 106 Abs 3 StPO). Der Einspruch muss die konkrete Anordnung bezeichnen sowie die Behauptung begründen, warum im Ermittlungsverfahren ein subjektives Recht verletzt wurde. Außerdem muss ein bestimmtes Begehren enthalten sein, wie dieser Rechtsverletzung abgeholfen werden soll (zB durch Rückgabe sichergestellter Unterlagen). Das Begehren kann sich auch lediglich auf die Feststellung richten, dass eine Gesetzesverletzung vorliegt und dadurch ein subjektives Recht verletzt wurde.
Die Staatsanwaltschaft hat dem Einspruch entweder binnen vier Wochen zu entsprechen oder diesen an das zuständige Gericht weiterzuleiten (§ 106 Abs 5 StPO). Sofern sich der Einspruch gegen eine Ermittlungsmaßnahme der Kriminalpolizei richtet, ist dieser Gelegenheit zur Stellungnahme zu gewähren (§ 106 Abs 3 StPO).
Gibt das Gericht dem Einspruch statt, haben die Staatsanwaltschaft und die Kriminalpolizei den entsprechenden Rechtszustand herzustellen (§ 107 Abs 4 StPO).
Beschwerde (§ 87 StPO)
Gegen gerichtliche Beschlüsse steht der Staatsanwaltschaft, dem Beschuldigten, soweit dessen Interessen unmittelbar betroffen sind, und jeder anderen Person, der durch den Beschluss unmittelbar Rechte verweigert werden oder Pflichten entstehen oder die von einem Zwangsmittel betroffen ist, Beschwerde an das Rechtsmittelgericht zu. Gegen einen Beschluss, mit dem das Verfahren eingestellt wird, kann auch ein Privatbeteiligter Beschwerde erheben. Überdies steht jeder Person eine Beschwerde zu, die behauptet, durch das Gericht im Rahmen einer Beweisaufnahme in einem subjektiven Recht verletzt worden zu sein (§ 87 Abs 1, Abs 2 StPO).
Legitmiation
Die Staatsanwaltschaft kann grundsätzlich gegen jeden gerichtlichen Beschluss im Ermittlungsverfahren Beschwerde erheben (§ 87 Abs 1 StPO).
Auch dem Beschuldigten steht ein Beschwerderecht zu, wenn seine Interessen unmittelbar betroffen sind (§ 87 Abs 1 StPO).
Eine Beschwerde kann aber auch von jeder anderen Person, der durch den Beschluss unmittelbar Rechte verweigert werden oder Pflichten entstehen oder die von einem Zwangsmittel betroffen ist, erhoben werden.
Auch dem Privatbeteiligten steht eine Beschwerde an das Rechtsmittelgericht zu, soweit das Gesetz im Einzelnen nichts anderes bestimmt (§ 87 Abs 1 StPO).
Eine natürliche oder juristische Person ist von einem Zwangsmittel betroffen, wenn sich dieses gegen sie richtet.
Beispiele für natürliche oder juristische Personen, die von Zwangsmitteln betroffen sind:
- Eine Bank ist von der Beschlagnahme eines Sparbuchs bzw eines Sparkontos betroffen und kann daher gegen die gerichtliche Bewilligung der Beschlagnahme Beschwerde erheben.
- Der Eigentümer eines beschlagnahmten Kraftfahrzeugs ist von diesem Zwangsmittel betroffen. Auch ihm steht eine Beschwerdemöglichkeit zu.
Dem Privatbeteiligten steht außerdem eine Beschwerde gegen Beschlüsse zu, mit denen das Strafverfahren eingestellt wird. Dies gilt allerdings nur insoweit, als das Gesetz im Einzelnen nichts anderes bestimmt (§ 87 Abs 1 StPO).
Schließlich steht jeder Person eine Beschwerde an das Rechtsmittelgericht zu, die behauptet, durch das Gericht im Rahmen einer im Ermittlungsverfahren in einem subjektiven Recht verletzt worden zu sein (§ 87 Abs 2 StPO). Der Gesetzgeber verweist an dieser Stelle auf den Einspruch wegen Rechtsverletzung (§ 106 Abs 1 StPO). Daher ist auf die obigen Ausführungen betreffend das subjektive Recht zu verweisen.
Verfahren
Die Beschwerde ist innerhalb von vierzehn Tagen ab Bekanntmachung oder ab Kenntnis der Nichterledigung bzw Verletzung des subjektiven Rechts schriftlich beim Gericht einzubringen (§ 88 Abs 1 StPO). Eine Beschwerde gegen einen Beschluss, mit dem eine Anordnung der Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren bewilligt wird, ist hingegen bei der Staatsanwaltschaft einzubringen. Ob die Staatsanwaltschaft in einem solchen Fall eine Stellungnahme erstattet, liegt in ihrem Ermessen. Sie ist jedoch zur Weiterleitung an das Gericht verpflichtet (§ 88 Abs 2 StPO).
In der Beschwerde ist der angefochtene Beschluss, Antrag oder Vorgang anzugeben und konkret darzulegen, inwiefern das Recht verletzt wurde (§ 88 Abs 1 StPO). Beim Rechtsmittelgericht handelt es sich um das jeweils örtlich zuständige Oberlandesgericht (§ 33 Abs 1 Z 1 StPO).
Soweit gegen den Beschluss der gerichtlichen Bewilligung einer Ermittlungsmaßnahme Beschwerde erhoben wird, ist ein Einspruch gegen die Anordnung oder Durchführung mit der Beschwerde zu verbinden. Ein separat eingebrachter Einspruch wegen Rechtsverletzung gemäß § 106 StPO ist unzulässig. In diesem Fall entscheidet das Beschwerdegericht auch über den Einspruch (§ 106 Abs 2 StPO).
Unterstützung durch einen Strafverteidiger
In der Praxis führen die strengen Einbringungsfristen und formellen Vorgaben insbesondere bei juristischen Laien zu Unsicherheiten. Ein erfahrener Strafverteidiger begleitet das Ermittlungsverfahren bestenfalls seit Beginn der Ermittlungen und kann Abhilfe schaffen, die rechtlichen Möglichkeiten bestmöglich einschätzen und dafür sorgen, dass die Rechtsmittelmöglichkeiten effektiv genutzt werden.
Außerdem kann ein auf das Strafrecht spezialisierter Rechtsanwalt die Aussichten etwaiger rechtlicher Schritte einordnen und seine umfassende Expertise und Erfahrung hinsichtlich sämtlicher Details einbringen, um auf diese Weise dafür zu sorgen, dass die Wahrscheinlichkeit eines erfolgreichen Rechtsbehelfs erheblich erhöht wird.