Allgemeines
Die Auswirkungen eines Strafverfahrens reichen von existenziellen wirtschaftlichen Konsequenzen bis hin zu erheblichen Reputationsschäden. Daher gilt: Kenntnis der eigenen Rechte ist der erste Schritt zur wirksamen Verteidigung.
Die Beschuldigtenrechte machen den Beschuldigten zu einem Verfahrenssubjekt und ermöglichen ihm, aktiv den Ausgang des Strafverfahrens zu beeinflussen. Gerade im Wirtschaftsstrafrecht – mit oftmals komplexen Sachverhalten, großen Datenmengen und erheblichen Reputationsrisiken – ist die frühzeitige Wahrnehmung dieser Rechte von entscheidender Bedeutung.
Die Beschuldigtenrechte sind – etwa durch Art 6 Abs. 3 EMRK – auch grundrechtlich abgesichert. § 49 Abs 1 StPO führt in dreizehn Ziffern zentrale Rechte des Beschuldigten an, ohne damit eine abschließende Aufzählung vorzunehmen. Diese Rechte lassen sich im Wesentlichen in drei Gruppen gliedern: Informationsrechte, Beschuldigtenrechte im engen Sinn sowie Rechtsbehelfe.
1. Informationsrechte
- Belehrung über den Tatverfacht und wesentliche Verfahrensrechte (§ 49 Abs 1 Z 1 iVm § 50 StPO): Der Beschuldigte hat das Recht, über den Gegenstand des gegen ihn bestehenden Verdachts sowie über seine zentralen Verfahrensrechte in Kenntnis gesetzt zu werden. Bei Betroffenen soll dadurch Klarheit über ihre Rechte herrschen und somit eine effektive Wahrnehmung der Verteidigung ermöglicht werden.
- Akteneinsicht (§ 49 Abs 1 Z 3 iVm §§ 51–53 StPO): Die Akteneinsicht zählt zu den bedeutendsten Beschuldigtenrechten. Ohne ausreichende Kenntnis des Akts ist es dem Beschuldigten und seinem Verteidiger nicht möglich, den Stand des Verfahrens realistisch einzuschätzen, den weiteren Verlauf seriös zu prognostizieren und die Verteidigungsstrategie wirksam auszugestalten. Daher ist es für eine fundierte Strafverteidigung unerlässlich, in regelmäßigen Abständen Einsicht in den Strafakt zu nehmen.
- Übersetzungshilfe (§ 49 Abs 1 Z 12 iVm § 56 StPO): Besteht ein Bedarf, ist dem Beschuldigten verpflichtend Übersetzungshilfe zu gewähren.
2. Beschuldigtenrechte im engen Sinn
- Recht auf Wahl eines Verteidigers und Verfahrenshilfeverteidiger (§ 49 Abs 1 Z 2 iVm §§ 58, 59 und 61 StPO): Beschuldigte haben das Recht, einen Verteidiger frei zu wählen oder – bei eingeschränkten finanziellen Mitteln – einen Verfahrenshilfeverteidiger beizuziehen. Das Recht auf Verteidigung stellt eine unverzichtbare Voraussetzung für ein faires und rechtsstaatliches Verfahren dar.
- Recht auf Äußerung, Schweigen und Verteidigerkontakt (§ 49 Abs 1 Z 4 iVm §§ 58, 59 und 164 Abs 1 StPO): Dem Beschuldigten steht es frei, sich zum Tatvorwurf zu äußern oder von seinem Schweigerecht Gebrauch zu machen. Ebenso hat er das Recht, jederzeit mit seinem Verteidiger in Kontakt zu treten und sich mit diesem vertraulich zu besprechen. Diese Rechte lassen sich bereits aus dem allgemeinen Verfahrensgrundsatz des Rechts auf Verteidigung (§ 7 StPO) ableiten.
- Beiziehung des Verteidigers zur Vernehmung (§ 49 Abs 1 Z 5 iVm § 164 Abs 2 StPO): Wünscht der Beschuldigte die Teilnahme seines Verteidigers, ist mit der Vernehmung bis zu dessen Anwesenheit zuzuwarten. Vor Beginn der Einvernahme muss dem Beschuldigten die Gelegenheit gegeben werden, sich mit seinem Verteidiger zu besprechen. Der Verteidiger hat auch das Recht, dem Beschuldigten Fragen zu stellen und zusätzliche Erklärungen abzugeben.
- Beweisantragsrecht (§ 49 Abs 1 Z 6 iVm § 55 StPO): Das Beweisantragsrecht stellt in der Praxis das wohl bedeutendste Mitwirkungsrecht des Beschuldigten dar. Ein erfolgreicher Beweisantrag kann den Verfahrensgang unmittelbar lenken und die Verteidigungsstrategie entscheidend prägen. Dieses Recht steht dem Beschuldigten sowohl im Ermittlungsverfahren als auch im Hauptverfahren zu.
- Teilnahmerechte (§ 49 Abs 1 Z 10 StPO): Dem Beschuldigten ist das Teilnahmerecht an der Hauptverhandlung, an kontradiktorischen Vernehmungen sowie an einer Tatrekonstruktion gewährt. Die Anwesenheit des Angeklagten in der Hauptverhandlung wird auch durch die engen Voraussetzungen des Abwesenheitsverfahrens (§ 427 StPO) geschützt. Ein solches ist nur zulässig, wenn der Beschuldigte weder Jugendlicher noch junger Erwachsener ist, es sich lediglich um ein Vergehen handelt, er bereits vernommen wurde, die Ladung ordnungsgemäß zugestellt wurde und seine Anwesenheit für die Evaluierung des Sachverhalts nicht erforderlich ist.
- Einschränkung der Akteneinsicht von anderen Verfahrensbeteiligten (§ 49 Abs 2 StPO)
Dem Beschuldigten steht das Recht zu, dass Opfern, Privatbeteiligten oder Privatanklägern Akteneinsicht nur insoweit gewährt wird, wie dies zur Wahrung ihrer Interessen geboten ist.
3. Rechtsbehelfe und Rechtsmittel
- Einspruch wegen Rechtsverletzung (§ 49 Abs 1 Z 7 iVm § 106 StPO): Der Einspruch wegen Rechtsverletzung ist ein wichtiger Rechtsbehelf im Ermittlungsverfahren kann bei Verletzung eines subjektiven Rechts durch die Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren erhoben werden. Ein subjektives Recht gilt als verletzt, wenn dem Beschuldigten ein Verfahrensrecht (zB Akteneinsicht, Beweisantragsrecht) verweigert oder eine Ermittlungsmaßnahme ohne gesetzliche Grundlage gesetzt wird. Der Einspruch ist binnen sechs Wochen ab Kenntnis der Rechtsverletzung bei der Staatsanwaltschaft einzubringen. Wird gegen einen gerichtlichen Beschluss, welcher eine Ermittlungsmaßnahme bewilligt, Beschwerde (§ 87 StPO) erhoben, ist der Einspruch mit dieser zu verknüpfen. Folglich entscheidet das Beschwerdegericht auch über den Einspruch.
- Beschwerde (§ 49 Abs 1 Z 8 iVm §§ 87 ff StPO): Der Beschuldigte verfügt über das Recht, gegen gerichtliche Beschlüsse Beschwerde gemäß § 87 StPO zu erheben. Dies kommt va bei Bewilligung von Zwangsmaßnahmen (zB Hausdurchsuchungen) in Betracht. Eine Beschwerde ist jedoch nur zulässig, wenn die Interessen des Beschuldigten unmittelbar betroffen sind. Die Frist zur Einbringung beträgt 14 Tage ab Bekanntmachung des Beschlusses oder ab Kenntnis der Nichterledigung bzw Verletzung des subjektiven Rechts (§ 88 Abs 1 StPO). Bildet der Gegenstand einer Beschwerde ein Beschluss, der eine Anordnung der Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren bewilligt (zB körperliche Untersuchung), ist sie bei der Staatsanwaltschaft einzubringen.
- Antrag auf Einstellung (§ 49 Abs 1 Z 9 iVm § 108 StPO): Dem Beschuldigten steht es frei, die Einstellung des gegen ihn geführten zu beantragen. Dabei muss ein Einstellungsgrund dargelegt werden. Die StPO unterscheidet zwei Fälle:
- Rechtlicher Grund (§ 108 Abs 2 Z 1 StPO): Bei der angelasteten Tat handelt es sich um keine mit gerichtlicher Strafe bedrohte Handlung oder die Strafverfolgung ist aus rechtlichen Gründen (zB Strafaufhebungs-, Strafausschließungs- oder Rechtfertigungsgründe) unzulässig.
- Faktischer Grund (§ 108 Abs 2 Z 2 StPO): Der bestehende Tatverdacht rechtfertigt nach Dringlichkeit und Gewicht sowie angesichts Dauer und Umfang des Ermittlungsverfahrens keine Fortsetzung. Selbst bei andauernder Sachverhaltsklärung ist keine Verdachtsintensivierung zu erwarten.
- Rechtsmittel und Rechtsbehelfe (§ 49 Abs 1 Z 11 StPO): Betroffene sind generell legitimiert, Rechtsmittel und Rechtsbehelfe zu erheben. Gegen Urteile eines Bezirksgerichts oder eines Einzelrichters am Landesgericht sind Berufungen wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe sowie über den Ausspruch privatrechtlicher Ansprüche möglich (§§ 463, 464, 489 Abs 1 StPO). Die gleichzeitige Geltendmachung aller Berufungsgründe wird als „volle Berufung“ bezeichnet.
Gegen Urteile eines Geschworenen- oder Schöffengerichts können hingegen eine Nichtigkeitsbeschwerde (§§ 280 ff, 344 ff StPO) sowie eine Berufung gegen die Strafhöhe oder über den Ausspruch privatrechtlicher Ansprüche (§§ 280, 283 StPO; §§ 344, 346 StPO) eingebracht werden.
Darüber hinaus umfasst dieses Beschuldigtenrecht auch weitere Rechtsbehelfe, wie die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 364 StPO), die ordentliche Wiederaufnahme (§§ 352 ff StPO), die Erneuerung des Strafverfahrens (§ 363a StPO) sowie die nachträgliche Strafänderung (§ 410 StPO). - Recht auf Verfahrenstrennung (§ 49 Abs 1 Z 13 iVm § 27 StPO): Im Jahr 2025 wurde ein subjektives Recht auf Verfahrenstrennung eingeführt. Damit können einzelne Straftaten oder Angeklagte auf Antrag des Beschuldigten oder von Amts wegen getrennt verfolgt werden. Ziel dieses Antrags ist es, Verzögerungen zu vermeiden, schutzwürdige Geheimhaltungsinteressen zu sichern und die Haftdauer zu verkürzen. Zugleich unterstützt dieses Recht die Vertraulichkeit personenbezogener Daten und begünstigt die Verfahrensbeschleunigung.
Neue Entwicklungen: Beschuldigtenrechte bei Beschlagnahme von Daten und Datenträgern
Mit der Strafprozessrechtsänderung 2024 wurde die Beschlagnahme von Daten und Datenträgern grundlegend reformiert. Beschuldigte und Opfer haben nunmehr beispielsweise das Recht,
- die Auswertung von Daten nach zusätzlichen Suchparametern zu beantragen (§ 115i Abs 2 StPO),
- für das jeweilige Verfahren relevante und zulässige Ergebnisse in den Akt aufnehmen zu lassen (§ 115i Abs 3 StPO),
- Einsicht in ausgewertete Daten zu nehmen, soweit sie selbst betroffen sind (§ 115i Abs 4 StPO) und
- die Vernichtung für das jeweilige Verfahren irrelevanter oder unzulässiger Daten zu verlangen (§ 115i Abs 5 StPO).
Diese Neuerungen festigen die Stellung des Beschuldigten im Strafverfahren erheblich und tragen zum Schutz seiner privaten Daten bei.
Strafverteidigung als Schlüssel zur Wahrung der Beschuldigtenrechte
Die Rolle des Strafverteidigers ist für die Wahrung der Beschuldigtenrechte von zentraler Bedeutung: Er klärt Beschuldigte umfassend über ihre Rechte im Strafverfahren auf und stellt sicher, dass diese nicht nur bekannt, sondern auch tatsächlich wirksam wahrgenommen werden. Auf diese Weise können Beschuldigte den Verlauf des Strafverfahrens aktiv mitgestalten, eine klare Verteidigungsstrategie entwickeln und ihre Interessen konsequent schützen.
Der Strafverteidiger fungiert damit als Garant für die Einhaltung der in der Strafprozessordnung verankerten Verfahrensrechte und sorgt zugleich für die notwendige Balance in der Kommunikation zwischen Strafverfolgungsbehörden und Beschuldigtem. Ein erfahrener Strafverteidiger weiß, auf welche strategischen Details es bei der Ausübung von Beschuldigtenrechten ankommt. Darüber hinaus unterstützt er bei der Inanspruchnahme von Rechtsschutzinstrumenten im Falle von Rechtsverletzungen und trägt so maßgeblich dazu bei, dass Beschuldigtenrechte nicht nur formell bestehen, sondern auch praktisch durchgesetzt werden.