Allgemeines
In der österreichischen Strafprozessordnung gilt der Grundsatz der amtswegigen Wahrheitserforschung (§§ 2, 3 StPO). Daher haben Kriminalpolizei, Staatsanwaltschaft und Gericht von Amts wegen alle für den Verlauf und das Ergebnis des Strafverfahrens relevanten Beweismittel zu erheben. Im Ermittlungsverfahren kommt primär der Staatsanwaltschaft im Rahmen ihrer leitenden Funktion diese Aufgabe zu.
Trotz dieser Verpflichtung besteht für den Beschuldigten die Möglichkeit, die Aufnahme von Beweisen zu beantragen (§ 55 StPO), wenn er der Ansicht ist, dass wichtige Beweise bisher nicht Eingang in das Strafverfahren gefunden haben. Das Beweisantragsrecht ist auch verfassungsrechtlich verankert (Art 6 Abs 3 lit d EMRK). Die erfolgreiche Stellung eines Beweisantrags kann sich als entscheidendes Element einer wirksamen und zielgerichteten Verteidigung erweisen.
Berechtigtenkreis sowie Zeitpunkt und Form der Antragsstellung
Der Beschuldigte ist berechtigt, in sämtlichen Verfahrensstadien bis zum Ende der Hauptverhandlung Beweisanträge zu stellen. Antragsberechtigt sind nicht nur der Beschuldigte bzw Angeklagte selbst, sondern auch deren Verteidiger und zusätzlich auch Privatbeteiligte und deren Rechtsvertreter. Bei jugendlichen Beschuldigten verfügen auch die gesetzlichen Vertreter über dieses Recht. Im Rahmen des Hauptverfahrens ist auch die Staatsanwaltschaft befugt, Beweisanträge im Sinne des § 55 StPO zu stellen.
Beweisanträge können im Ermittlungsverfahren sowohl mündlich – etwa im Rahmen einer Beschuldigtenvernehmung – als auch schriftlich eingebracht werden. Nach Anklageerhebung können solche Anträge auch in der schriftlichen Gegenäußerung zur Anklageschrift gestellt werden (§ 222 Abs 3 StPO). In der Hauptverhandlung sind Beweisanträge – wie auch alle anderen Anträge – mündlich zu stellen; im Hauptverfahren müssen daher auch schriftlich eingebrachte Beweisanträge mündlich wiederholt werden, andernfalls entfalten sie keine rechtliche Wirkung.
Inhaltliche Erfordernisse des Beweisantrags
Nach § 55 Abs 1 StPO muss ein Beweisantrag folgende Elemente enthalten:
- Beweisthema – die konkret zu beweisende Tatsache.
- Beweismittel – die Erkenntnisquelle (zB Zeugenvernehmung, Sachverständigengutachten, Urkundenbeweis, Augenschein).
- Entscheidende Informationen zur Durchführbarkeit – Angaben, die die Entsprechung des Beweisantrags ermöglichen (zB Name und Anschrift eines Zeugen).
- Beweisrelevanz – Hier sind zwei Aspekte zu trennen:
- Erheblichkeit des Beweisthemas: Das Beweisthema muss sich auf verfahrensentscheidende Umstände beziehen und damit auch für die Schuld- oder Subsumtionsfrage von Bedeutung sein. Ein Beweisthema ist relevant, wenn es im Strafverfahren wesentliche Tatsachen zum Gegenstand hat.
- Beweismitteltauglichkeit: Darüber hinaus hat der Beweisantrag darzutun, inwiefern das angeführte Beweismittel zur Aufklärung des Beweisthemas beitragen kann (bspw warum ein Zeuge bestimmte Wahrnehmungen gemacht haben könnte).
Die Ausführungen zur Beweisrelevanz können entfallen, wenn diese „offensichtlich“ (§ 55 Abs 1 letzter Satz StPO) ist bzw auf der Hand liegten.
Es ist empfehlenswert, diese Voraussetzungen strikt einzuhalten und stets sämtliche Bestandteile eines Beweisantrags auszuführen – auch bei vermeintlicher „Offensichtlichkeit“.
Gründe für das Unterbleiben einer Beweisaufnahme (§ 55 Abs 2 StPO)
Generell ist die Aufnahme unzulässiger, unverwertbarer und unmöglicher Beweise zu unterlassen. Zudem darf ein Beweisantrag des Beschuldigten abgewiesen werden, wenn:
- das Beweisthema offenkundig oder für die Beurteilung des Tatverdachts ohne Bedeutung ist (Z 1),
- das beantragte Beweismittel nicht geeignet ist, eine erhebliche Tatsache zu beweisen (Z 2) oder
- das Beweisthema bereits als erwiesen gelten kann (Z 3).
Unter „offenkundig“ versteht man Tatsachen, die der Allgemeinheit oder zumindest dem Gericht bekannt sind. Ohne Bedeutung ist ein Beweisthema, wenn es schlicht für dieses Strafverfahren unerheblich ist. Die Eignung eines Beweismittels ist dann zu verneinen, wenn dieses schon an sich nicht in der Lage ist, die behauptete Tatsache darzulegen. Ein Beweisthema gilt als erwiesen, wenn auf Basis des bisherigen Strafverfahrens das Bestehen eines Faktums ohne Zweifel angenommen werden kann.
Rechtsschutz
Lehnt die Staatsanwaltschaft die Beweisaufnahme ab oder bleibt untätig, steht dem Beschuldigten ein Einspruch wegen Rechtsverletzung (§ 106 StPO) offen.
Im Ermittlungsverfahren muss die Kriminalpolizei beantragte Beweise erheben oder den Antrag der Staatsanwaltschaft übermitteln. Diese hat die Beweisaufnahme zu veranlassen oder den Beschuldigten über die Gründe des Unterbleibens zu informieren. Bei rechtswidriger Entsprechung bzw Abweisung oder Untätigkeit der Staatsanwaltschaft kann der Beschuldigte Einspruch wegen Rechtsverletzung erheben
Wird das Beweisantragsrecht im Hauptverfahren verletzt, ist eine Verfahrensrüge (§ 281 Abs 1 Z 4 StPO) möglich, sofern der Antrag in der Hauptverhandlung gestellt oder ausdrücklich wiederholt wurde.
Rolle des Strafverteidigers
Der Beweisantrag kann ein äußerst bedeutsames Instrument in der Strafverteidigung sein. Dieser muss jedoch juristisch präzise und sorgfältig ausgearbeitet werden, damit die strengen Kriterien des § 55 StPO erfüllt sind. Bereits eine – oftmals vermeidbare – Unvollständigkeit kann dazu führen, dass ein für die Verteidigung essentielles Beweismittel nicht berücksichtigt wird.
Ein erfahrener Strafverteidiger gewährleistet, dass Beweisanträge formal und inhaltlich korrekt eingebracht und strategisch sinnvoll in das Strafverfahren eingeführt werden. Zusätzlich kann ein Strafverteidiger aufgrund seiner umfassenden Expertise bei allfälliger Ablehnung die jeweiligen Rechtsschutzinstrumente effektiv im Namen des Beschuldigten nützen und somit die Chancen erhöhen, dass der Beweis schlussendlich doch aufgenommen wird. Auf diese Weise achtet der Rechtsanwalt genau auf die umfassende Sicherung dieses zentralen Beschuldigtenrechts.