Warum der Umgang mit KI im Gesundheitsbereich „boomt“
KI-Systeme sind in der Medizin längst angekommen, beispielsweise in Radiologie, OP-Assistenz und klinischer Entscheidungsunterstützung. Während diese Technologien die Arbeit im medizinischen Bereich zweifellos erleichtern, ist vielen Anwendern im Gesundheitswesen nicht bewusst, welche strafrechtlichen Risiken damit einhergehen. Fehlerquellen liegen dabei weniger in einer „fehlgeleiteten“ Technologie, sondern vielmehr in der Vernachlässigung menschlicher Sorgfalts- und Organisationspflichten – etwa durch den Einsatz ungeeigneter Tools, fehlende Überwachung oder Plausibilitätsprüfungen, verspätete Reaktionen auf Fehlfunktionen oder unzureichende klinische Prozesse.
Eine KI kann sich nicht strafbar machen. Die Verantwortung liegt stets beim Menschen, der sie auswählt, einsetzt und überwacht. Kommt es zu Organisationsmängeln innerhalb der medizinischen Einrichtung, kann darüber hinaus neben dem individuellen Beschuldigten auch der Verband – etwa eine Krankenanstalt – aufgrund der unternehmensstrafrechtliche Verantwortlichkeit nach dem Verbandsverantwortlichkeitsgesetz (VbVG) strafrechtlich belangt werden.
Wer haftet– und wofür?
Allgemeines
Wie bereits dargestellt kommt eine Strafbarkeit der „KI selbst“ in keinem Fall in Betracht. Auch ein teil- oder vollautonomes Verhalten der Systeme ändert nichts daran, dass ihr Einsatz stets auf menschlichem, willensgesteuertem Handeln beruht.
Angehörige der Gesundheitsberufe wie Ärzte bleiben trotz des Einsatzes von KI strafrechtlich verantwortlich – sowohl für aktives Tun als auch für das pflichtwidrige Unterlassen gebotener Maßnahmen. In der Praxis kommen vor allem die Delikte der fahrlässigen Körperverletzung (§ 88 StGB) sowie der fahrlässigen Tötung (§§ 80 f StGB) in Betracht.
Strafbare Fahrlässigkeit setzt eine objektive Sorgfaltswidrigkeit sowie eine Zurechnung des eingetretenen Erfolgs (zB Verletzung oder Tod) voraus. Maßstab ist die Verletzung von Rechts- oder Verkehrsnormen oder – sofern solche fehlen – das Verhalten einer differenzierten Maßfigur, also eines einsichtigen und besonnenen Angehörigen desselben Personenkreises mit vergleichbarem Fachwissen. Ein Angehöriger eines Gesundheitsberufs handelt daher objektiv sorgfaltswidrig, wenn ein solcher sorgfältiger und besonnener Fachkollege sich in der konkreten Situation anders verhalten hätte.
Garantenstellung und Unterlassen
Bei KI-gestützten Behandlungen spielen im Hinblick auf eine mögliche Strafbarkeit insbesondere unechte Unterlassungsdelikte eine zentrale Rolle. Diese können nur von sogenannten Garanten begangen werden – also von Personen, die aufgrund einer besonderen Pflicht rechtlich dafür einzustehen haben, dass ein bestimmter Erfolg (etwa eine Verletzung oder ein Tod) nicht eintritt. Eine Garantenstellung (§ 2 StGB) kann sich insbesondere aus folgenden Quellen ergeben:
- Rechtsvorschriften
Eine Garantenstellung kann durch Rechtsnormen begründet werden, wenn diese konkrete Schutz- oder Kontrollpflichten für bestimmte Gefahrenquellen vorsehen. Ein klassisches Beispiel bietet § 49 Abs 1 ÄrzteG: Ein Arzt ist verpflichtet, jeden von ihm übernommenen Patienten gewissenhaft zu betreuen, sich fortzubilden und nach dem Stand der ärztlichen Wissenschaft unter Einhaltung der fachspezifischen Qualitätsstandards zu handeln. Daraus ergibt sich eine strafrechtlich relevante Garantenpflicht gegenüber übernommenen Patienten.
2. Freiwillige Pflichtenübernahme
Eine Garantenstellung entsteht auch durch die freiwillige Übernahme einer Obhuts-, Schutz- oder Überwachungspflicht. Entscheidend ist die tatsächliche Übernahme von Verantwortung und damit die Pflicht, Gefahren vom geschützten Rechtsgut abzuwenden.
Im medizinischen Kontext entsteht diese Garantenstellung typischerweise durch den Abschluss eines Behandlungsvertrags oder durch die faktische Übernahme der Betreuung – etwa im Rahmen einer telefonischen Beratung, des Not- oder Bereitschaftsdienstes oder durch Delegation im Krankenhaus. Auch ohne zivilrechtlich wirksamen Vertrag kann strafrechtlich eine Garantenpflicht entstehen, sobald faktisch Verantwortung für das Wohl eines Patienten übernommen wird. Für Klinikpersonal folgt die Garantenstellung zudem aus der internen Aufgabenverteilung innerhalb der Einrichtung.
3. Ingerenz (gefahrbegründendes Vorverhalten)
Eine Garantenstellung kraft Ingerenz entsteht, wenn jemand durch eigenes Handeln eine Gefahr für fremde Rechtsgüter schafft oder erhöht und daher verpflichtet ist, den drohenden Erfolg abzuwenden.
Für KI-Systeme bedeutet dies, dass bereits deren Inbetriebnahme, Anlernen oder Anwendung unter Verletzung von Sicherheits-, Dokumentations- oder Aufklärungspflichten eine Garantenpflicht auslösen kann. Eine solche Pflicht kann auch dann entstehen, wenn zunächst sorgfaltsgemäß gehandelt wurde, später aber die notwendige fortlaufende Überwachung des Systems unterlassen wird und sich eine vorhersehbare Gefahr realisiert.
4. Eröffnung einer Gefahrenquelle
Eine Garantenstellung kann sich schließlich auch daraus ergeben, dass jemand durch sein Handeln eine potenzielle Gefahrensituation schafft und daher innerhalb seines Herrschafts- und Einflussbereichs Sicherungsmaßnahmen treffen muss. Anders als bei der Ingerenz kommt es dabei nicht darauf an, ob das Verhalten pflichtgemäß oder pflichtwidrig war.
Setzt ein Arzt oder ein anderer Gesundheitsberufsangehöriger ein KI-basiertes System ein, begründet bereits die dadurch geschaffene potenzielle Gefahrenquelle eine Garantenpflicht. Diese umfasst die ordnungsgemäße Auswahl, Implementierung, Überwachung und Sicherung des Systems sowie die kritische Hinterfragung, Plausibilisierung und ggf. Korrektur der KI-gestützten Ergebnisse.
Sorgfaltsmaßstab beim KI-Einsatz im Medizinsektor: Was ist zu beachten?
Medizinische Behandlungen müssen lege artis nach dem aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft erfolgen. Im Umgang mit KI-basierten Systemen betrifft dies insbesondere drei zentrale Bereiche:
- Einhaltung der Fachstandards: Aus dem Behandlungsvertrag folgt ein Anspruch des Patienten auf eine fach- und sachgerechte Behandlung nach objektivem medizinischem Standard. Dieser Standard stützt sich auf Leitlinien, Richtlinien und aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse – einschließlich bestehender und künftiger Leitlinien zum Einsatz von KI-Systemen.
- Beachtung von Bedienungs- und Gebrauchsvorgaben: KI-Systeme für Gesundheitsanwendungen können als Medizinprodukte eingestuft werden. In diesem Fall sind Zweckbestimmung, Konformitätserklärung, Gebrauchsanleitung und technische Dokumentation verbindlich. Der Einsatz darf nur innerhalb der zugelassenen Indikation und Benutzergruppe erfolgen; zudem sind regelmäßige Wartungen gemäß Herstellerangaben sicherzustellen. Fehlende Organisation oder Dokumentation, unklare Zuständigkeiten oder unzureichend qualifiziertes Personal können ein Organisationsverschulden begründen und – bei medizinischen Einrichtungen – zu einer strafrechtlichen Verantwortlichkeit des Verbands führen.
- Überwachungs- und Eingriffspflichten: Gegenüber KI besteht kein Vertrauensgrundsatz. Ärzte müssen mit Fehlentscheidungen oder technischen Defekten rechnen, KI-Ergebnisse plausibilisieren und erforderlichenfalls mit klassischen diagnostischen Methoden gegenprüfen sowie gegebenenfalls korrigieren. Systeme sind laufend zu überwachen. Wer sich auf die vermeintliche Unfehlbarkeit der KI verlässt, handelt unter Umständen fahrlässig, kann sich im Fall einer Körperverletzung oder eines Todes strafbar machen und sich rasch als Beschuldigter in einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren wiederfinden.
Kann die Nicht-Nutzung von KI pflichtwidrig sein?
Wenn KI-Systeme nachweislich bessere Ergebnisse erzielen als herkömmliche Methoden und bereits als State of the Art gelten, kann das Unterlassen ihres Einsatzes als sorgfaltswidrig zu beurteilen sein, weil der Arzt damit hinter dem aktuellen fachlichen Standard zurückbleibt. Es wird daher auch das Nicht-Verwenden etablierter KI-Systeme im Gesundheitswesen in die strafrechtliche Beurteilung einzubeziehen sein.
Unabhängig davon stellt der Einsatz hochmoderner KI-Anwendungen die Frage nach verfügbaren Ressourcen, da insbesondere KI-gestützte Robotik erhebliche Anschaffungs-, Wartungs- und Servicekosten verursacht. Studien zeigen bereits, dass KI-basierte Auswertungsverfahren bei bestimmten bildgebenden Untersuchungen kritische Befunde zuverlässig erkennen und die ärztliche Beurteilung sinnvoll ergänzen können. Verzichten Ärzte trotz bestehender Verfügbarkeit auf den Einsatz eines anerkannten KI-Systems, kann dies unter Umständen als Unterlassen einer medizinisch gebotenen Maßnahme gewertet werden.
Strafbarkeit der Krankenanstalt nach dem VbVG
Begeht ein in einem Krankenhaus angestellter Heilberufsangehöriger einen Behandlungsfehler, kann auch die Krankenanstalt als Verband nach dem VbVG haften, sofern sie als juristische Person (zB GmbH) oder eingetragene Personengesellschaft (zB OG, KG) organisiert ist. Voraussetzung ist das Vorliegen einer tatbildlichen und rechtswidrigen Straftat eines Entscheidungsträgers (§ 2 Abs 1 VbVG) oder Mitarbeiters (§ 2 Abs 2 VbVG), die eine Verbandspflicht verletzt oder zugunsten des Verbands begangen wurde. Die maßgeblichen Pflichten ergeben sich in medizinischen Einrichtungen insbesondere aus dem Medizinproduktegesetz (MPG) sowie dem Krankenanstalten- und Kuranstaltengesetz (KAKuG).
Bei Straftaten von Mitarbeitern ist zusätzlich ein Organisationsverschulden des Verbands erforderlich (§ 3 Abs 3 Z 2 VbVG). Dieses liegt vor, wenn die Tat dadurch ermöglicht oder wesentlich erleichtert wurde, dass Entscheidungsträger die nach den Umständen gebotene und zumutbare Sorgfalt außer Acht gelassen haben – insbesondere durch das Unterlassen wesentlicher technischer, organisatorischer oder personeller Maßnahmen zur Verhinderung solcher Taten. Ein Organisationsverschulden ist etwa dann anzunehmen, wenn Verantwortlichkeiten, Schulungen oder Kontrollmechanismen im Umgang mit KI-basierten Systemen fehlen oder Herstellerhinweise bewusst nicht beachtet werden. Entscheidend ist dabei nicht das bloße Vorhandensein solcher Maßnahmen, sondern deren wirksame praktische Umsetzung.
Warum Sie bei möglichen Fehlverhalten rechtzeitig einen Rechtsanwalt beiziehen sollten
Die unterlassene oder nicht ordnungsgemäße Verwendung von Künstlicher Intelligenz im Gesundheitswesen ist ein erhebliches Haftungsrisiko im Bereich des Arzthaftungsrechts und kann sowohl zivilrechtliche als auch strafrechtliche und disziplinarrechtliche Folgen nach sich ziehen.
Eine spezialisierte Strafverteidigung in Medizinstrafverfahren mit KI-Bezug strukturiert den Vorwurf entlang der oftmals durchzuführenden Fahrlässigkeitsprüfung, grenzt Garantenstellung sowie daraus resultierende Schutz- und Kontrollpflichten präzise ab und verknüpft sicher die einschlägigen Rechtsgebiete – insbesondere Strafrecht, einschlägige öffentlich-rechtliche Vorgaben und relevante zivilrechtliche Aspekte.
Durch die Unterstützung eines Rechtsanwalts kann zudem das Risiko einer Verbandsverantwortlichkeit nach dem VbVG so aufgearbeitet werden, dass eine strafrechtliche Zurechnung entkräftet oder zumindest reduziert wird. Ein Rechtsanwalt stellt sicher, dass technische Nachweise zu Bedienungs- und Gebrauchsvorgaben, Konformität, Wartung und Dokumentation zugunsten des medizinischen Personals und der Krankenanstalt erhoben, gesichert und rechtlich bewertet werden. Diese Beweise sind häufig entscheidend für den Ausgang eines Strafverfahrens und werden durch gezielte Beweisanträge in das Verfahren eingebracht.
Ein zentrales Element der Verteidigung im Medizinstrafrecht ist zudem die professionelle Befragung medizinischer und technischer Sachverständiger – insbesondere zur Plausibilisierung von vorgeworfenem Organisationsverschulden und zur Feststellung des Standards „lege artis“. Durch präzise Fragestellungen kann ein Rechtsanwalt oftmals den Vorwurf einer pflichtwidrigen Unterlassung einer gebotenen Maßnahme entkräften.
Eine frühzeitige, spezialisierte Verteidigung schafft Struktur in komplexen Sachverhalten, sichert technische und organisatorische Beweise und reduziert sowohl strafrechtliche zivilrechtliche Risiken maßgeblich.