Fahrlässige Tötung (§ 80 StGB) und fahrlässige Körperverletzung (§ 88 StGB) – Rechtsanwalt klärt auf

Die beiden Tatbestände der fahrlässigen Tötung (§ 80 StGB) und der fahrlässigen Körperverletzung (§ 88 StGB) sind ein wesentlicher Bestandteil des allgemeinen Strafrechts Der vorliegende Beitrag befasst sich mit den grundlegenden Tatbeständen der beiden Delikte, präsentiert konkrete Beispiele und greift geeignete Compliance-Maßnahmen zur Prävention solcher Delikte – die auch im Wirtschaftsleben bisweilen vorkommen können – auf. Darüber hinaus erläutert der Beitrag, wann es ratsam ist bei Vorwürfen zu den genannten Tatbeständen einen auf das Strafrecht spezialisierten Rechtsanwalt bzw Strafverteidiger beizuziehen.

Fahrlässige Tötung (§ 80 StGB)

Wer fahrlässig den Tod eines anderen herbeiführt, begeht nach § 80 StGB das Delikt der fahrlässigen Tötung. Wie aus der Deliktsbezeichnung hervorgeht, hat der Täter bei der fahrlässigen Tötung keinen Vorsatz, einen anderen zu töten, zu misshandeln oder ihn zu verletzten. Vielmehr verschuldet der Täter den Tod des Opfers durch Fahrlässigkeit.

Fahrlässig handelt, wer die Sorgfalt außer Acht lässt, zu der er nach den Umständen verpflichtet und nach seinen geistigen und körperlichen Verhältnissen befähigt ist und die ihm zuzumuten ist, und deshalb nicht erkennt, dass er einen Sachverhalt verwirklichen könnte, der einem gesetzlichen Tatbild entspricht (§ 6 Abs 1 StGB, unbewusste Fahrlässigkeit). Zudem handelt auch fahrlässig, wer es für möglich hält, dass er einen solchen Sachverhalt verwirkliche, ihn aber nicht herbeiführen will (§ 6 Abs 2 StGB, bewusste Fahrlässigkeit).

Vereinfacht ausgedrückt handelt derjenige fahrlässig, der objektiv sorgfaltswidrig und subjektiv vorwerfbar handelt.

Objektiv sorgfaltswidrig handelt, wer gegen relevanten Verhaltensanforderungen wie Rechtsvorschriften oder Verkehrsnormen verstößt. Subsidiär kann sich ein objektiv sorgfaltswidriges Verhalten auch aus dem Verhalten einer Maßfigur, also einer besonnenen und einsichtigen Person aus dem Verkehrskreis des Täters, ergeben. In Bezug auf die subjektive Sorgfaltswidrigkeit wird zusammengefasst gefordert, dass der Täter die objektive Sorgfaltspflicht nach seinen persönlichen Verhältnissen – also subjektiv – hätte erfüllen können.

Wer grob fahrlässig den Tod eines anderen herbeiführt, ist nach § 81 StGB strenger zu bestrafen. Grob fahrlässig handelt, wer ungewöhnlich und auffallend sorgfaltswidrig handelt, sodass der Eintritt eines dem gesetzlichen Tatbild entsprechenden Sachverhalts als geradezu wahrscheinlich vorhersehbar war.

Zentrale Risikobereiche der fahrlässigen Tötung

  • Straßenverkehr: Ein nicht unerheblicher Anteil der Fälle fahrlässiger Tötung wird durch Verkehrsunfälle verursacht. Wenn Verkehrsteilnehmer durch überhöhte Geschwindigkeit, Ablenkung oder durch sonstige Missachtung von Verkehrsregeln den Tod einer anderen Person verursachen, werden sie strafrechtlich wegen (grob) fahrlässiger Tötung zur Verantwortung gezogen.
  • Medizinische Behandlungsfehler: Der Tatbestand des § 80 StGB ist häufig auch dann erfüllt, wenn Ärzte oder medizinisches Personal aufgrund von Fahrlässigkeit (z.B fehlerhafte Diagnose, unsachgemäße Behandlung oder sonstige Nachlässigkeit) den Tod eines Patienten herbeiführen. Somit finden die Delikte der fahrlässigen Tötung und der grob fahrlässigen Tötung auch im Medizinstrafrecht Anwendung. Im medizinischen Bereich findet zur Prüfung der objektiven Sorgfaltswidrigkeit unter anderem die Medical Judgement Rule Anwendung, die die Einhaltung der medizinischen Standards und Best Practices gewährleisten soll.
  • Arbeitsunfälle: In Branchen, in denen ein erhöhtes Risiko für tödliche Unfälle besteht, beispielsweise im Bauwesen, in der Industrie oder in der Landwirtschaft, kann der Tatbestand der fahrlässigen Tötung erfüllt werden, wenn mangelnde Sicherheitsvorkehrungen oder fehlende Schutzmaßnahmen (beispielsweise nach dem Arbeitnehmerschutzgesetz) zu den tödlichen Zwischenfällen führen.
  • Produktbezogene Risiken: Auch produktbezogene Vorgaben und deren Missachtung können eine Haftung wegen fahrlässiger Tötung begründen. Dazu zählen beispielsweise spezifische Vorgaben zu Produktbeobachtungs-, Warn- und Rückrufpflichten sowie medizinprodukterechtliche oder arzneimittelrechtliche Vorgaben.

Beispiel

  • Ein Bauunternehmer entscheidet sich, bei der Errichtung eines Mehrfamilienhauses minderwertige und ungeeignete Baustoffe zu verwenden, um seine Kosten gering zu halten. Diese Entscheidung führt dazu, dass die baurechtlichen Anforderungen für ein solches Bauwerk nicht erfüllt sind. Einige Monate nach der Fertigstellung stürzt das Gebäude auf Grund der minderwertigen Materialien ein, was den Tod eines Bewohners zur Folge hat.  Der Bauunternehmer hat jedenfalls fahrlässig gehandelt, indem er sich für eine Errichtung entschieden hat, die die Sorgfaltsanforderungen der einschlägigen Rechtsnormen missachtete. Demnach kann der Bauunternehmer wegen fahrlässiger Tötung oder grob fahrlässiger Tötung bestraft werden.

Strafen

Die Grundstrafdrohung des Delikts der fahrlässigen Tötung (§ 80 Abs 1 StGB) beträgt Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe bis zu 720 Tagessätzen. Für eine fahrlässige Handlung, die den Tod mehrerer Menschen zur Folge hat, sieht das Strafgesetzbuch eine Verschärfung der Strafandrohung vor. Diese umfasst eine Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren (§ 80 Abs. 2 StGB).

Grob fahrlässige Tötung ist mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren zu bestrafen (§ 81 Abs 1 StGB). Mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren ist zu bestrafen, wer grob fahrlässig den Tod einer größeren Zahl von Menschen herbeiführt.

Fahrlässige Körperverletzung (§ 88 StGB)

Wer fahrlässig einen anderen am Körper verletzt oder an der Gesundheit schädigt, macht sich nach § 88 Abs 1 StGB wegen fahrlässiger Körperverletzung strafbar. Das Delikt der fahrlässigen Körperverletzung ist wie § 80 StGB ein reines Fahrlässigkeitsdelikt. Demnach handelt der Täter weder mit Verletzungsvorsatz noch mit Misshandlungsvorsatz.

Unter Körperverletzung bzw Gesundheitsschädigung sind bspw Wunden, Schwellungen, Verrenkungen, Verstauchungen, Brüche, Vergiftungen, Infektionen und Schockzustände sowie sonstige Verletzungen zu verstehen. Jede im Hinblick auf die körperliche Integrität objektiv sorgfaltswidrige Handlung ist eine geeignete Tathandlung der fahrlässigen Körperverletzung.

Straflosigkeitsgründe

Unter bestimmten Voraussetzungen ist der Täter nicht wegen fahrlässiger Körperverletzung zu bestrafen:

  • Handelt der Täter nicht grob fahrlässig und ist
  • die verletzte Person mit dem Täter verwandt oder verschwägert oder sein Ehegatte, sein eingetragener Partner, sein Bruder oder seine Schwester oder wie ein Angehöriger des Täters zu behandeln,
  • aus der Tat keine Gesundheitsschädigung oder Berufsunfähigkeit einer anderen Person von mehr als vierzehntägiger Dauer erfolgt oder
  • der Täter ein Angehöriger eines gesetzlichen geregelten Gesundheitsberufes und die Körperverletzung in Ausübung seines Berufes zugefügt worden

so ist der Täter nicht wegen fahrlässiger Körperverletzung zu bestrafen.

Eine Körperverletzung ist darüber hinaus nicht rechtswidrig und fällt folglich nicht unter den Tatbestand der fahrlässigen Körperverletzung, sofern der Verletzte oder Gefährdete zuvor in sie einwilligt und die Verletzung oder Gefährdung nicht gegen die guten Sitten verstößt (§ 90 Abs 1 StGB). Anwendung erlangt diese Regelung vor allem bei Heilbehandlungen durch Angehörige der Gesundheitsberufe wie Ärzte usw, aber beispielsweise auch bei einem Tätowierer oder Piercer, wenn in die „Verletzung“ des Körpers eingewilligt wird.

Beispiel

  • Ein Arbeitgeber missachtet arbeitnehmerschutzrechtliche Grundsätze der Gefahrenverhütung, sodass sich ein Mitarbeiter verletzt. Die Verletzung ist auf ein Versagen des Kontrollsystems des Unternehmers zurückzuführen, da erforderliche Sicherheitsunterweisungen unterlassen wurden. Der Arbeitgeber macht sich bei subjektiver Vorwerfbarkeit seines objektiv sorgfaltswidrigen Verhaltens wegen fahrlässiger Körperverletzung strafbar.

Haben Sie Fragen zum Thema
oder benötigen Sie Unterstützung? Sprechen Sie uns gerne direkt an.

Dr. Elias Schönborn

Haben Sie Fragen zum Thema
oder benötigen Sie Unterstützung? Sprechen Sie uns gerne direkt an.

Dr. Elias Schönborn
Rechtsanwalt und Strafverteidiger

Strafen

Wer fahrlässig einen anderen am Körper verletzt oder an der Gesundheit schädigt, ist mit Freiheitsstrafe bis zu drei Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 180 Tagessätzen zu bestrafen (§ 88 Abs 1 StGB).

Eine zusätzliche Deliktsqualifikation ist in § 88 Abs 3 StGB normiert. Wer demnach grob fahrlässig oder nachdem er sich vor der Tat, wenn auch nur fahrlässig, durch Genuss von Alkohol oder den Gebrauch eines anderen berauschenden Mittels in einen die Zurechnungsfähigkeit nicht ausschließenden Rauschzustand versetzt hat, einen anderen am Körper verletzt oder an der Gesundheit schädigt, ist mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen zu bestrafen.

Hat die Tat jedoch eine schwere Körperverletzung zur Folge, kann der Täter mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen bestraft werden. Wird grob fahrlässig eine schwere Körperverletzung begangen, ist der Täter mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren, hat sie jedoch eine schwere Körperverletzung einer größeren Zahl von Menschen zur Folge, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren zu bestrafen.

Compliance als Präventionsmaßnahme

Die Verletzung von Verbandspflichten, die sich insbesondere aus dem Verwaltungsrecht sowie dem Zivil- und Unternehmensrecht ergeben können, können auch eine strafrechtliche Verantwortlichkeit des Unternehmens im Zuge des Unternehmensstrafrechts wegen Fahrlässigkeitsdelikten begründen.

Compliance-Maßnahmen sind daher von entscheidender Bedeutung für die Prävention von Delikten wie fahrlässiger Körperverletzung und fahrlässiger Tötung. Das Ziel entsprechender Compliance-Vorkehrungen besteht in der frühzeitigen Identifikation und letztendlich Minimierung von Risiken. Es obliegt den Unternehmen, transparente Richtlinien und Verhaltenskodizes zu etablieren, um ein Bewusstsein für potenzielle Risiken zu fördern.  

Unternehmen sollten zudem regelmäßig Risikoanalysen durchführen, um potenzielle Gefahrenquellen zu identifizieren. Diesbezüglich ist es empfehlenswert, Arbeitsabläufe, Produktionsprozesse und die Verwendung von Materialien einer Prüfung hinsichtlich ihrer Sicherheitsstandards zu unterziehen und gegebenenfalls entsprechende Anpassungen vorzunehmen.

Außerdem ist es empfehlenswert, dass Unternehmen ihren Mitarbeitern in regelmäßigen Schulungen und Workshops die Möglichkeit bieten, sich in diesem Bereich weiterzubilden.

Unterstützung durch einen Rechtsanwalt bei fahrlässiger Tötung oder fahrlässiger Körperverletzung

Wenn der Vorwurf einer strafbaren Handlung gegen Leib und Leben im Raum steht, ist es empfehlenswert, spätestens bei Einleitung eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens rasch einen Strafverteidiger zu kontaktieren, der die Interessen des Beschuldigten umfassend vertritt und sich für einen positiven Verfahrensausgang seines Mandanten einsetzt.

Zur Prüfung des Fahrlässigkeitsvorwurfs ist eine detaillierte Prüfung der Handlungen, Unterlassungen und den daraus resultierenden Konsequenzen erforderlich. Ein Strafverteidiger kann in komplexeren Fällen wie beispielsweise im Medizinstrafrecht die Beweiskette in Frage stellen, indem er aufzeigt, dass die Kausalität zwischen dem Verhalten des Beschuldigten und der eingetretenen Körperverletzung oder Tötung nicht eindeutig ist oder dass andere Faktoren den Vorfall beeinflusst haben. Ein auf das Strafrecht spezialisierter Rechtsanwalt ist in der Lage, die vorhandenen Informationen zielgerichtet zu deuten und die Beweislage in einer überzeugenden Art und Weise darzulegen, um ein bestmögliches Verfahrensergebnis zu erzielen.

Auch wenn Sie Opfer einer fahrlässigen Körperverletzung geworden sind oder eine Ihnen nahestehende Person fahrlässig getötet wurde, empfiehlt es sich, rechtlichen Rat einzuholen, um die notwendigen rechtlichen Schritte gegen den Täter einzuleiten. Dazu gehören neben einer Anzeige bei den Strafverfolgungsbehörden auch die Vertretung im Strafverfahren im Rahmen der Privatbeteiligung sowie die Einleitung zivilrechtlicher Schritte zur Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen.

Dr. Elias Schönborn
Dr. Elias Schönborn
Rechtsanwalt und Strafverteidiger

Haben Sie Fragen zum Thema oder benötigen Sie Unterstützung? Sprechen Sie uns gerne direkt an.

FAZIT

Trotz hoher Anforderungen an Sorgfalt und Sicherheitsvorkehrungen kommt es immer wieder zu Verstößen, die schwerwiegende Konsequenzen haben können. Niemand ist daher zu 100% davor geschützt, wegen fahrlässiger Tötung oder eine fahrlässige Körperverletzung beschuldigt zu werden. Sollten Sie Fragen zu diesem Themengebiet haben oder rechtliche Vertretung dazu benötigen, stehen wir Ihnen als professionelle Ansprechpartner gerne zur Seite.
Picture of Dr. Elias Schönborn

Dr. Elias Schönborn

ANFRAGE

Schnelle und kompetente Rechtsberatung

Sie benötigen rechtliche Unterstützung?
Wir sind für Sie da – kontaktieren Sie uns, um einen Beratungstermin zu vereinbaren.

KONTAKTFORMULAR